Was ist die Zielgruppe eines Weihnachtsmarktstandes, der zwischen Glühweinständen und Weihnachtskitsch Bonsai für bis zu mehreren hundert Euro verkauft?
Der Zufallsbesucher wird sicher allenfalls Kleinigkeiten ergattern wollen. Laut Medienberichten ist der Durchschnittsbürger dieses Jahr bereit, ca. 20Euro pro Weihnachtsmarktbesuch zu investieren. Viel Bonsai gibt es für diesen Preis sicherlich nicht. Fallen Zufallsbesucher schonmal aus dem Kreis der potentiellen Zielgruppe. Wären noch die Sammler, die explizit nach Pflanzen Ausschau halten. Doch wird ein interessierter Sammler Jahrzehnte alte Bonsai-Exemplare zwischen Zuckerwatte und Glühwein kaufen wollen? Lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, wenn ich dies zu bezweifeln wage?
Wie ich auf eine solch nahezu absurde Fragestellung komme? Zuallererst: absurd ist daran leider gar nichts, denn ich staunte nicht schlecht, als ich letzten Samstag auf dem essener Weihnachtsmarkt eben einen solchen Stand mit einer ungewohnt hochwertigen Auswahl an Bonsai erblickte. Für mich sicherlich das persönliche Highlight des ganzen Weihnachtsmarktes: Dreißigjährige Apfelbäume, knorrige Olivenhaine, fruchtende Kumquatbüsche, Fukientees, diverse Ficusexemplare, Buchen, Eichen, Kastanien oder Zwerg-Spitzahorne. Teils Pflanzen, die ein beachtliches Alter aufwiesen und dementsprechend kostbar waren. Der Anblick dieser Auswahl ließ das Herz eines jeden Bonsaifans höherschlagen. Obendrein gab es eine nette Auswahl an Samen diverser Raritäten und Pflanzen, welche sich zur Bonsaigestaltung eigneten.
Doch die Freude über diese Entdeckung verhallte recht schnell und diverse Gedanken schossen mir durch den Kopf: ist es moralisch überhaupt vertretbar, solch fragile Pflanzen in einem Weihnachtsmarktstand anzubieten? Ein Ort der vieles bieten kann, jedoch keine vegetationsfreundlichen Bedingungen, um einen Bonsai während seiner Zeit in der Verkaufshütte am Leben zu halten, ohne ihn unnötig unter Stress zu setzen; die Beleuchtung bestand lediglich aus Baustrahlern, die recht spärliches Licht von der Decke der Hütte hinabstrahlten. Von den kalten Außentemperaturen (der Winter wird kommen), den Menschenscharen, die sich in Massen vor der Hütte aneinandereihten und all dem Dunst der benachbarten Grill- und Bratbuden, ganz zu schweigen. Stressfaktoren wohin man nur schaute. So schön die Pflanzen waren, so sehr schmerzte mich der Gedanke ob der Tatsache, wie viele davon unter den gegebenen Bedingungen ihrem sicheren Tod ausgesetzt waren.
Es war zumindest nicht das letzte Mal, dass ich diesen Stand besuchte. Am gestrigen Mittwoch zog es mich erneut in die essener Innenstadt. Ein kurzer Anstandsbesuch beim Bonsaimann bot sich an. Ich erinnerte mich, dass dort auch die ein oder anderen, recht interessanten Samen veräußert wurden. So kaufte ich zwar keinen Bonsai, aber immerhin 4 Palmfarnsamen (Cycas revoluta) samt Anzuchtanleitung. Der Händler gab mir sogar den fünften gratis oben drauf, was einen effektiven Preis von 1Eur/Korn machte. Selbst im Netz ist dieser Preis nicht zu finden. Stimmt nun noch die Keimquote, wars ein richtiger Glücksgriff! Doch darüber werde ich in naher Zukunft sicherlich noch öfter berichten.
Bonsai als Notgeschenk für die, die alles haben? Anders kann ich mir das auch nicht vorstellen. Jedenfalls hätte ich auch große Bedenken so eine Pflanze dort zu kaufen und dann noch dazu durch den Winter bringen zu müssen.
Für mich zeigt sich da leider mal wieder, dass für das Weihnachtsgeschäft keine Kosten und Mühen gescheut werden – und Pflanzen halt meist nur Ware sind …
VG Silke
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