Urban Gardening und seine zweifelhaften Auswüchse

Urban Gardening ist mittlerweile zu einem Begriff geworden, an dem man nur schwer vorbeikommt. Das urbane Gärtnern liegt stark im Trend und stellt einen aktiven Beitrag zum Strukturwandel vieler Großstädte dar, den ein jeder auf seiner Art und Weise leisten kann. Ein Garten als solcher ist dabei nicht erforderlich. Der Grundgedanke hierbei zielt darauf ab, dass jede Fläche in einen Garten verwandelt werden kann; ob karger Hinterhof, Brachfläche, Balkon oder eben nur das Fensterbrett im Büro. Urban Gardening steht für improvisierten Gartenbau auf engstem Raum und versprüht einen revolutionären Charme, der mit der Zurückgewinnung der Natur einhergeht.

Dabei zeigt sich Urban Gardening in vielen Facetten, die von altbekannten Schrebergärten, Reihenhaus- und Hinterhof-Gemüsebeeten über alternative, kommunenartige bio-Gartengemeinschaften, bis hin zu trendigen Balkongärten  reichen.

Die Vermarktung des Begriffes Urban Gardening bildet mittlerweile die Grundlage findiger Unternehmen, die sich diesem Trend verschrieben haben und rastlosen Städtern die Anzucht ihres eigenen Gemüses nahe bringen wollen. Gärtnern kann jeder – Ob auf dem Balkon oder direkt am Fenster. Die Kampagnen derartiger Unternehmen klingen vielversprechend, denn ein Garten ist gar nicht nötig, um von jetzt auf gleich erste Erfahrungen als Gemüseselbstversorger zu sammeln. Dazu bietet der Markt mittlerweile eine breite Palette an spezialisierten Produkten an, die auch dem gartenfremdesten Bürostuhlakrobaten das Glücksgefühl einer eigenen Ernte vermitteln sollen.

Die Sinnhaftigkeit manch eines Produktes sei dahingestellt und zeugt lediglich vom Geschäftsgeist der Initiatoren. Ob Gemüseanzuchtsets mit einer handvoll Samen und einem Tütchen Erde (wohlgemerkt ohne Topf!) für 15Eur, die innovative, gepresste Blumenerde für 8Eur pro halbes Kilo (nein, Kokosquellsubstrat ist keine neue Erfindung.) oder aber der selbstklebende Designerblumentopf aus ach so nachhaltigem Kunststoff. Mit alternativen Trends lässt sich scheinbar gutes Geld verdienen. Doch welche Zielgruppe sprechen diese Produkte an?

Fix-und-fertig Produkte, die extra für den Markt der urbanen Gärtner zugeschnitten sind, wirken per se wie eine große Heuchelei. So ist doch der Improvisationsgeist einer der wichtigen Leitgedanken beim Urban Gardening. Was hier naheliegt, klingt ironisch: wer solche Produkte kauft, will alternative Wege beschreiten, ohne selbst Alternativen zu finden. Wozu auch, wenn der Markt für jeden Anlass die passenden Produkte liefert und Eigenrecherchen gar nicht mehr nötig sind?

Doch sind eben solche überkommerzialisierten Produkte alles andere als alternativlos, wenn nicht sogar überflüssig und vollends deplatziert. Gemüsesaatgut – auch Biosaatgut – bekommt man in vielen Supermärkten, im Gartencenter sowieso. Wer auf Nummer sicher gehen will und besonderen Wert auf alten Sorten legt, besucht Samenbörsen, die mittlerweile großen Anklang finden. Gleiches gilt beim Substrat: wer keinen Zugriff zu Garten und Kompost hat, greift zu Blumenerde oder Kokosquellsubstrat. Der Preis hierbei liegt auch in relativ teuren Gartencentern weit unter dem Preis von speziellen Urban Gardening Labels. Zuletzt noch die Frage nach den Gefäßen: ist es denn wirklich nötig, dass Urban Gardening Labels Designerkunststofftöpfe vertreiben und den Markt mit noch mehr Kunststoffabfällen übersäen?

Falls nun der Gedanke aufkommt: Nein, ich bin kein Öko und auf Nachhaltigkeit achte ich leider nur rudimentär, aber was ich nicht verstehe, ist die Inkonsequenz, mit welcher der Bereich des Urban Gardenings stellenweise geflutet wird. Wenn man schon den Ansatz verfolgt und sich als besonders nachhaltig darstellt, wäre es doch nur der richtige Weg, dies auch zu sein. Es wird Wasser gepredigt und Wein getrunken. Die Kommerzialisierung von Trends nimmt mitunter groteske Auswüchse an. Doch Trends wären keine Trends, wenn nicht die Masse an scheuklappentragenden Opportunisten auf jeden Zug aufspringen würde.

Doch eines muss man diesen Produkten lassen: viele hippe Großstädter sprechen extrem auf diesen Trend an und zumindest schaffen es Urban Gardening Labels auf diesem Wege, so manch einen Gartenfremden vom Mac seines Arbeitsplatzes in der Marketingagentur in Richtung Natur zu bringen – wenn auch diese nur in einem selbstklebenden Kunststofftopf am Fenster hängt und darin die 15Eur-Chilisamen vor sich hinvegetieren.

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4 Antworten zu “Urban Gardening und seine zweifelhaften Auswüchse

    • Das mit den Tüten ist auch ein absolutes Paradebeispiel dieser Konsumschizohrenie. „Plastikmüll, der nicht verrotet und uns über Generationen erhalten bleibt? Steht doch bio drauf!“

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